Stimmen von Frauen zeigen deren Emanzipation!

 
Foto: True Touch Lifestyle/Shutterstock

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Worin unterscheiden sich Frauen- und Männerstimmen? Bestimmt denken Sie sich, dass Frauenstimmen deutlich höher sind als Männerstimmen. Bisher ging man davon aus, dass die Stimme einer Frau im Durchschnitt etwa eine Oktave über der eines Mannes liegt. Doch zeigen empirische Daten nun spannende Veränderungen von Frauenstimmen:

Deutsche Frauen sprechen heute deutlich tiefer als vor noch 20 Jahren. Wie kann man sich das erklären? Und was kann man aus diesen Veränderungen schließen bzw. welche Schlüsse sollte man nicht automatisch ziehen? Das erkläre ich Ihnen in diesem Artikel.

 

Die Stimme ist Ausdruck unserer Person.

Aus dem Klang der Stimme schließen wir automatisch auf die Person. Das ist häufig ein unbewusst ablaufender Prozess, bei dem wir uns einen Eindruck verschaffen, wie diese Person spricht und wie dabei ihr Auftreten und Verhalten auf uns wirken. Dabei folgern wir u.a. diese Aspekte:

  • Welches Geschlecht hat die sprechende Person?

  • Wie alt schätze ich sie?

  • Stelle ich sie mir körperlich eher groß oder eher klein vor?

  • Welche Gefühle hat diese Person gerade, während sie spricht?

  • Welche Charaktereigenschaften vermute ich bei ihr? 

Oftmals wird uns diese Einschätzung erst bewusst, wenn wir durch etwas überrascht sind: z.B. wenn die Stimme sehr hoch und piepsig klingt, obwohl die Person körperlich sehr groß ist oder wenn die Stimme sehr reif klingt und es sich dann aber doch um eine sehr junge Person handelt. Übrigens neigen wir dazu, einer Person positive Persönlichkeitsmerkmale zuzuschreiben, wenn wir ihre Stimme attraktiv finden.

Wenn man nun Frauenstimmen genauer betrachtet, entsteht folgendes Bild: Höhere Stimmen werden als jünger, mädchenhafter, süßer sowie hilfs- und schutzbedürftiger eingeschätzt. Tiefere Stimmen werden mit mehr Reife und Eigenschaften wie Dominanz und Durchsetzungsfähigkeit assoziiert. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einer tiefen Stimme vertrauenswürdiger wirken, während Personen mit hohen Stimmen eher als nicht so belastungsfähig eingeschätzt werden. Frauenstimmen, die tief sind und einen behauchten Klang haben, werden häufig als erotisch und lasziv empfunden.

 

Frauenstimmen sind in den letzten 20 Jahren messbar tiefer geworden.

In einer groß angelegten Studie der Universität Leipzig, wurden Stimmdaten von nahezu 2500 durchschnittlichen Bürgerinnen und Bürgern aller Altersstufen erhoben. Das heißt, dass diese kein spezielles Stimmtraining absolviert haben und auch nicht als Person des öffentlichen Lebens (z.B. als Moderator*in) rhetorisch oder stimmlich geschult waren.

Das Ergebnis ist deutlich: Deutsche Frauen sprechen heute wesentlich tiefer als vor 20 Jahren. Im gleichen Zeitraum hat sich die Sprechstimmlage von Männern nicht abgesenkt. So liegt die Frauenstimme jetzt nur noch eine Quinte über der Männerstimme. Die mittlere Sprechstimmlage lag bei Frauen vor 20 Jahren etwa bei 220 Hz, heute bei etwa 170 Hz. Zum Vergleich liegt die mittlere Sprechstimmlage von Männern damals wie heute bei etwa 110 Hz. Wie können sich die Forscher*innen das erklären?

Der Einfluss welcher Faktoren kann ausgeschlossen werden?

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Körpergröße & Ernährung

Man könnte vermuten, dass Frauen heute im Durchschnitt größer sind als noch vor einigen Jahrzehnten und dass dadurch auch die Kehlkopfgröße und die Stimmlippenmasse zugenommen hat, wodurch die Stimmen tiefer geworden sind. Doch dieses Größenwachstum würde Männer gleichermaßen betreffen, wodurch auch die Stimmen von Männern in einem ähnlichen Maß tiefer geworden sein müssten. Dies ist aber nicht der Fall.

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Hormonspiegel

Hormone haben einen starken Einfluss auf die Stimme. Gerade in der Pubertät verändert sich unsere Stimme aufgrund der ausgeschütteten Geschlechtshormone und das dadurch angestoßene Größenwachstum. Die Teilnehmerinnen der Studie wurden auch hormonell untersucht, um zu sehen, ob bei ihnen mehr männliches Geschlechtshormon im Blut nachgewiesen werden kann, doch wurden keine Abweichungen von Normwerten festgestellt.

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Rauchen

Toxische Substanzen, wie z.B. Zigrettenrauch, beeinflussen die Beschaffenheit und Funktionsfähigkeit der Stimmlippen, wodurch sich auch Stimmlage und -klang verändern können. Doch wenn man sich die Gruppe der Nichtraucherinnen ansieht, wird dort der selbe Effekt gefunden. Die Stimme ist auch hier im gleichen Maße tiefer geworden.

So kann man zusammenfassend sagen, dass trotz unveränderter anatomischer und physiologischer Voraussetzungen, Frauen ihre Stimmen heute deutlich tiefer benutzen.

 

Warum benutzen Frauen ihre Stimmen heute tiefer?

Diese stimmliche Veränderung scheint also in der Tat mit dem veränderten Rollenbild von Frauen heute zu tun zu haben. Man könnte sagen: Emanzipation ist hörbar!

Da Frauen heute vielfach voll im Leben stehen und berufstätig sind, ist deren Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein gestiegen. Dies verändert die Art, wie sie sprechen und wie ihre Stimmen klingen. Einerseits gibt es eine Gruppe von Frauen, die bewusst tiefer spricht, um sich z.B. im Beruf besser durchsetzen zu können. Andererseits haben Frauen tiefere Stimmen auch unbewusst übernommen.

Was sollte man aber nicht aus dieser Studie ziehen?

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Fehlannahme 1: Eine Frau mit einer höheren Stimme ist weniger emanzipiert.

Manche mögen nun denken, dass je emanzipierter und selbstbewusster eine Frau ist, desto tiefer ist ihre Stimme. Doch Vorsicht: natürlich sind dies bei weitem nicht die einzigen Faktoren, die Einfluss auf die Stimmlage nehmen. Und umgekehrt müssen sich Selbstbewusstsein und Emanzipation nicht zwingend durch die Tiefe der Stimmlage ausdrücken.

Viele, teils ungelöste Faktoren und deren Zusammenspiel beeinflussen unsere Stimmlage. Ein Faktor sind dabei sicherlich auch stimmliche Vorbilder und wie wir gelernt haben, unsere Stimme zu verwenden. Dies habe ich in einem älteren Artikel erklärt: Stimme neu lernen!

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Fehlannahme 2: Indem man die Stimme tiefer trainiert, wird man emanzipierter.

Emanzipiertheit ist in erster Linie eine Haltung, eine innere Einstellung und ein Selbstverständnis — diese gilt es zu entwickeln. Das bedeutet, dass durch das Absenken der Stimmlage nicht automatisch der Grad des Emanzipation oder des Selbstbewusstseins zunimmt. Natürlich besteht die Chance, dass man dadurch neue und positive Erfahrungen in Kommunikation sammelt und dass diese dann positiv auf das Selbstbild zurückwirken. Es kann unter Umständen aber auch eine zweischneidige Sache sein: Frauen könnten Gefahr laufen, dass ihnen weniger positive Eigenschaften zugeschrieben werden, die herkömmlicherweise mit Weiblichkeit verbunden werden. Deshalb ist es wichtig ein Sprechverhalten zu entwickeln, dass sich persönlich stimmig und zum eigenen Rollenverständnis und Selbstbild passend anfühlt.

Damit kommunizieren wir kongruent, was als authentisch empfunden wird. Dazu erfahren Sie hier spannende Hintergrundinfos: Warum die 7-38-55-Regel falsch ist!

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Fehlannahme 3: Eine tiefere Stimme ist besser.

In Stimmtrainings wird häufig der Wunsch geäußert, tiefer sprechen zu wollen, um sich besser durchsetzen zu können. Oder auch so mache*r Trainer*in legt das Ziel fest, eine tiefere, sonore und reifere Stimme zu entwickeln, um mehr Autorität zu erlangen. Doch damit erhebt man die tiefere Stimme zum Ideal und verschärft die Problematik, dass Frauen mehr Anstrengungen unternehmen müssen, um im sozialen und beruflichen Bereich eine Gleichstellung zu erlangen.

Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Frauen ihre Stimme künstlich tief absenken, was die Gefahr von Sprechanstrengung erhöht. Denn für eine klangvolle und anstrengungsfreie Stimme sollte man in seiner persönlichen Indifferenzlage sprechen. Das habe ich hier erklärt: Finden Sie eine angenehme Stimmlage!

 

Die große Frage: Wie wollen wir als Frauen klingen? …in all unseren Facetten.

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Die Stimme ist der klingende Teil unserer Identität und natürlich können wir uns entwickeln und wachsen. So kann ein Stimmtraining auch unsere Persönlichkeitsentwicklung anstoßen.

Es gibt uns die Chance darüber nachzudenken, wie wir klingen möchten und wie wir das Potenzial unserer Stimme ausschöpfen können. Damit entdecken wir verschiedene Facetten an sich selbst: laute, leise, hohe, tiefe, dynamische und ruhige.

Und damit bekommt man die Möglichkeit zu entscheiden, in welcher Weise man sich zeigen möchte — fernab von Vorgaben oder Empfehlungen, wie man sein sollte oder wie man klingen muss, um erfolgreich zu sein. Entscheidend ist das eigene Empfinden, sich mit seiner Stimme und seinem Auftreten wohl zu fühlen. Und das können Sie mit Experimentierfreude und Spaß herausfinden!

 

Geben Sie sich und Ihren Botschaften eine starke Stimme!

Sind Sie neugierig geworden, wie Sie Ihre Stimme verbessern können. Eine starke Stimme ist nicht einfach eine Gabe, sondern erlernbar. Mit einigen Tipps & Tricks können Sie Ihrer Stimme zu mehr Ausdruck verhelfen! Und genau das lernen Sie im gratis VOCCO-Schnupperkurs. Sie werden sehen, wie schnell erste Veränderungen hörbar sind. Viel Vergnügen dabei!

 

Zusammenfassung: Deutsche Frauen sprechen heute wesentlich tiefer als noch vor 20 Jahren. Im gleichen Zeitraum hat sich die Sprechstimmlage von Männern nicht abgesenkt. Diese Veränderung der Stimmlage bei Frauen ist nicht mit anatomischen oder physiologischen Faktoren zu erklären, weshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit soziologische und psychologische Faktoren eines veränderten Rollenbilds wirken: Da Frauen heute vielfach voll im Leben stehen und berufstätig sind, ist deren Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein gestiegen. Dies verändert die Art, wie sie sprechen und wie ihre Stimmen klingen. Dabei sollte man aber nicht den Fehlschlüssen aufsitzen, dass die Stimmlage den Grad des Selbstbewusstseins oder der Emanzipation anzeigt, dass ein Stimmtraining dies automatisch herbeiführen könne oder dass eine tiefere Stimme per se besser sei als eine höhere. Es ist wichtig, eine individuell passende und als stimmig erlebte Sprechweise zu entwickeln, die das gesamte stimmliche Potenzial ausschöpft.

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